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Fotografie als Motiv - Glossar (Auszug)

Ruth Horak

MOTIV: Bezeichnung für sämtliche Elemente, die auf einem Bild abgebildet sind, im Bildfeld erscheinen oder auch nur angedeutet sind. Meist benennbare und identifizierbare Objekte. Im Unterschied zum Bildträger nicht physisch. Immateriell. Vergleichbar mit einer Nachricht. Betrachtet man Bilder, spricht man oft über Motiv, Inhalt, Komposition oder Kontext, während die Fotografïnnen selbst immer auch an den Herstellungsprozess denken: Fotoequipment, Film, Kamera, Aufnahme, Entwicklung, Prints, Präsentation. Naheliegend, die Fotografie selbst auch zum Motiv zu machen.

Thema und Variation: Aus der Musik kommend, steht der Begriff „Variation“ für die Veränderung eines Motivs. Heuhaufen, Seerosen, Äpfel, Berge, Badende oder später: Quadrate, Streifen etc. haben die Variation auch als naheliegendes Arbeiten am Motiv in der bildenden Kunst bestätigt und in die Serie als künstlerische Methode geführt: Die verschiedenen Ansichten eines dreidimensionalen Objektes, die Einwirkung des Lichts auf dessen Konturen und Farben, konkret: das Spiel mit Filtern (Caroline Heider), mit Oberflächen (Claudia Rohrauer) oder die Entsättigung eines „Yellow Square“ (Josef Albers) zu einem „Gray Square“ (Lisa Rastl).

Sachaufnahme: Reproduktion von Bildern oder Objekten, meist im Studio, auf (Repro-)Tischen, unter bestimmten (z. B. Licht-)Bedingungen, die ideal für deren authentische Wiedergabe sind. Trotz der Reduktion sämtlicher Objekteigenschaften auf eine visuelle Ebene sollen durch eine ideale Objektmodulation möglichst viele Eigenschaften des zu reproduzierenden Objektes nachvollziehbar bleiben bzw. eine Atmosphäre vermittelt werden, die die Qualitäten des Objektes unterstreicht. Insbesondere bei der Aufnahme von Skulpturen unterscheidet man dezidiert zwischen Hauptansicht, Neben- und Detailansichten. Normalerweise anschließend wieder ausgeblendet, bleiben die Entstehungsbedingungen diesmal im Bild bzw. werden absichtlich provoziert.

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Lisa Rastl 

Wiederholt man die Reproduktion der Reproduktion so lange, bis das Motiv hinter dem Akt der Reproduktion verschwindet, wird aus Josef Albers > Lisa Rastl. Insgesamt acht Reproduktionsschritte hat Lisa Rastl auf eines von über 2.000 Bildern aus der Serie Homage to the Square angewandt, die Josef Albers zwischen 1950 und 1976 gemalt hat – weniger um dem Quadrat zu huldigen, als das Zusammenspiel der Farben zu beobachten. Die Entscheidung, ab welchem Reproduktionsschritt die Verschiebung vom einen Autor zum anderen stattfindet, ist den Betrachterïnnen überlassen. Marcel Duchamp hatte vorgeschlagen, dass die bloße Signatur eines Gegenstandes genügt. „Im Urheberrecht bestimmt die Schöpfungshöhe das Recht am Bild. Ein rein technischer Reproduktionsvorgang begründet noch keinen Lichtbildschutz, es muss ein Mindestmaß an persönlicher, geistiger und individueller Leistung und Gestaltung erbracht werden, dann handelt es sich um ein ‚Lichtbildwerk‘ mit einem für das Urheberrecht ausreichenden Schöpfungsgrad.“ [Lisa Rastl] Man spricht auch vom „Verblassen der individuellen Züge der Vorlage gegenüber dem neuen Werk“[1]. 

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[1] Gernot Schulze, „§ 2 Rn 20“, in: Thomas Dreier, Gernot Schulze, Urheberrechtsgesetz, Beck, München 2008

 

Die Welt ist zum Ersticken voll (Auszug)

Franz Thalmair

Die Welt ist zum Ersticken voll. Der Mensch hat jeden Stein markiert. Jedes Wort, jedes Bild ist gepachtet und mit einer Hypothek belegt. Wir wissen, dass ein Bild nur ein Raum ist, in dem eine Vielzahl von Bildern miteinander verschmilzt und aufeinandertrifft, keines davon ursprünglich. Ein Bild ist ein Gewebe aus Zitaten, die aus den unzähligen Stätten der Kultur stammen. Ähnlich wie die ewigen Kopisten Bouvard und Péchuchet [sic!] deuten wir auf die tiefgreifende Lächerlichkeit hin, die gerade die Wahrheit der Malerei ausmacht. Wir können nur eine bestehende Geste imitieren, die niemals originell ist. [...]

Die Welt ist voll. Der Mensch hat alles markiert. Jedes Bild ist mit einer Hypothek belegt. Ein Bild ist ein Raum, in dem Bilder aufeinandertreffen. Ein Bild ist ein Gewebe aus Zitaten aus den unzähligen Stätten der Kultur. Ähnlich wie die Kopisten deuten wir auf die Lächerlichkeit der Malerei hin. Wir können nur eine bestehende Geste imitieren. [...]

Die Welt ist voll. Jedes Bild ist mit einer Hypothek belegt. Ein Bild ist ein Raum, in dem Bilder aufeinandertreffen. Ein Bild ist ein Gewebe. Wir können nur eine Geste imitieren.   [...]

 

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Fotografieforschung unter feministischer Perspektive (Auszug)

Ulrike Matzer

[...] Die Geschichtsschreibungen der Fotografie überschneiden sich anfangs stark mit den Diskursen der Chemie- und Technikgeschichte, später auch mit jenen der Kunst-, Kultur- und Bildwissenschaft. In einem ersten Versuch einer differenzierenden Historisierung unterschied Martin Gasser Anfang der 1990er-Jahre für den Zeitraum 1839 bis 1939 im Wesentlichen drei Formen von Fotografiehistoriografien: Geschichten als Prioritätsdebatten, Geschichten als Handbücher und Geschichten des fotografischen Bildes.[1]

 

[1] Vgl. Martin Gasser, „Histories of Photography 1839–1939“, in: History of Photography, vol. 16, n° 1, Spring 1992, S. 50–60.

In Anlehnung an die Wissenschafts- und Technikgeschichte differenzierte Anne McCauley „internalistische“ von „externalistischen“ Fotohistoriografien, also jene, die aus einer Innenperspektive verfahrenstechnische Entwicklungen referieren, von solchen, die aus einer Außensicht die sozioökonomischen Umstände schildern. Das gesamte 19. Jahrhundert über dominieren internalistische Fortschrittsgeschichten, die männliche Pioniere und deren Innovationen entlang einer Achse schier unbegrenzter Optimierbarkeit platzieren. 

Auch von Praktikern für Praktizierende verfasste Handbücher folgten meist mehr oder weniger diesem Programm. Mit der Einführung neuer fotografischer Verfahren ging seit je die Publikation von Anleitungen einher, die die unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten dieser Verfahren thematisierten. 

Bis in die frühen 1970er-Jahre ist Frauen in fotografiehistorischen Überblicksdarstellungen kaum ein Platz gewidmet, die Anwendung des technischen Mediums galt offenbar unausgesprochen als ‚Männersache‘. Erst im Zuge der feministischen Bewegung begannen sich die Dinge zu ändern. Ein erstes umfassendes und zugleich differenziertes Panorama bot Naomi Rosenblum in ihrer 1994 erschienenen History of Women Photographers, die die Lücken bisheriger Werke kritisiert. Besonders in der gewerblichen Fotografie waren nämlich vergleichsweise viele Frauen aktiv.  [...]

 

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Claudia Rohrauer

METALLIC (Vom Kern der Oberfläche) beschäftigt sich anhand der Aufgabenstellung, einen Gegenstand aus Metall zu fotografieren mit der Eigenschaft von Oberflächen und spannt dabei einen Bogen vom Glanz als spezifisches Merkmal des Metalls und gleichzeitige fotografische Herausforderung bis hin zur Beschaffenheit von Papieroberflächen. Innerhalb dieser drei Eckpunkte wird aber auch anhand einer persönlichen Erfahrung die Beziehung, die zwischen Aufnahmegegenstand und Fotografin besteht, erzählt.

Glatt und glänzend steht das Metall für Klarheit und Eleganz, für innere und äußere Strukturen, für das Spiel mit Grenzen und Freiheit. Gleichzeitig stellen poliertes Silber, Chromglanz und andere reflektierende Oberflächen hohe Anforderungen an die Lichtführung, da sie die nächstgelegene Umgebung, dazu oft noch in Verzerrungen, widerspiegeln und somit die Wahrnehmung des abgebildeten Gegenstandes verwirrt wird. So werden glänzende Fotos häufig als strahlender und kontrastreicher empfunden als Fotos auf mattem Papier; objektiv betrachtet beruht dieser Eindruck jedoch auf einer Illusion. 

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Die rote Laterne und die Dunkelkammer (Auszug)

Andreas Spiegl

In Österreich gibt es eine „Liste der freien Gewerbe“, in der jene „Tätigkeiten“ angeführt werden, „für deren Ausübung kein Befähigungsnachweis erforderlich ist“[1]. In der aktuellen Ausgabe vom November 2020 findet sich darin auf Seite 6 der „Berufsfotograf“[2] (sic!, männlich und im Singular). Dass man heute der „Tätigkeit“ als „Berufsfotograf“ nachgehen kann, ohne dafür eine entsprechende Ausbildung vorweisen zu müssen, verdankt sich einer Änderung der sogenannten „Gewerbeordnung“, aus der die „Fotografen“ (männlich und im Plural) im Jahr 2013 gestrichen wurden. [...]
 

[1] Bundeseinheitliche Liste der freien Gewerbe (2020) vom Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (Österreich).  https://www.bmdw.gv.at/Services/Publikationen/Bundeseinheitliche-Liste-der-freien-Gewerbe.html

[2] Ebd., S. 6.

Durch die Änderungen in der Gewerbeordnung wurde die Kenntnis der fotografischen Verfahren in diesem Sinne nicht mehr mit dem „Fotografen“ in Verbindung gebracht, sondern mit der digitalen Fotografie, die keine „hohen Anforderungen“ mehr verlangte und diese in digitalisierter Form in die Programme selbst integrierte. Sinngemäß erledigte nun die Kamera das Handwerk; diese sollte jedën dazu befähigen, „(gute) Bilder“ machen zu können. Die Digitalisierung sollte – wie zunehmend in vielen anderen Bereichen auch – die Kenntnisse ersetzen, die das Handwerk vorab verlangte. Das Handwerk tendiert dazu, eine überflüssige Qualifikation, ein Überbleibsel oder „kulturelles Erbe“ aus einer vergangenen technischen Epoche darzustellen.   [...]

Dieser umfassende Begriff des Handwerks steht im Zentrum der Beiträge von Caroline Heider, Lisa Rastl und Claudia Rohrauer, die vor ihrer künstlerischen Praxis eine „handwerkliche“ Fotografieausbildung absolvierten und mit den entsprechenden Techniken, Verfahren und institutionellen Strukturen vertraut (gemacht) wurden. Zu den Produktionsbedingungen gehörte die Erfahrung, dass der Fokus auf die Technik auch geschlechterdifferente Rollenzuschreibungen vorsah [... und sich] diese Affinität zur Technik als Männerdomäne vermittelt(e), die es nicht war. Umso dringlicher erscheint nun der Appell der drei Künstlerinnen, diesem geschlechterpolitischen Stereotyp des Technikbegriffs die Präsenz und Bedeutung von Fotografinnen für dieses Genre entgegenzustellen. [...]

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Caroline Heider

Die Beherrschung des Technischen wird dem Männlichen zugeschrieben. Das mag damit zusammenhängen, dass die Erfindung der Maschinen und Apparate in einer Zeit stattfand, in der die Sichtbarkeit von Frauen in die Bereiche des Privaten und der Familie zurückgedrängt worden war. Im industriellen Zeitalter gab es wenig gewerbetreibende Frauen, die öffentlich bekannt waren. Frauen arbeiteten beispielsweise oft unter männlichen Namen, wie zum Beispiel Lucia Moholy[1] oder Marianne Strobl. Letztere verwendete das Namenskürzel M. Strobl, um ihre geschlechtliche Identität zu verschleiern.[2]

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[1] Rolf Sachsse, Lucia Moholy. Bauhaus-Fotografin, Museumspädagogischer Dienst, Berlin 1995. Lucia Moholy veröffentlichte ihre Texte unter dem männlichem Pseudonym Ulrich Steffen.

[2] Ulrike Matzer (Hg.), Marianne Strobl. „Industrie-Photograph“, 1894–1914, Fotohof Edition, Salzburg 2017.

Fotografie als Motiv

204 Seiten / Dt.+ Engl. / Hardcover: 23 x 32 cm / Auflage: 800 / Gestaltung + Produktion: Astrid Seme Studio / Mark Pezinger Books
© 2021

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